K.Siebenhüner u.a. (Hg.): Cotton in Context

Cover
Title
Cotton in Context. Manufacturing, Marketing, and Consuming Textiles in the German-speaking World (1500 – 1900)


Editor(s)
Siebenhüner, Kim; Jordan, John; Schopf, Gabi
Series
Ding, Materialität, Geschichte (4)
Published
Göttingen 2019: Vandenhoeck & Ruprecht
Extent
424 S.
Price
€ 93,00
by
Magnus Ressel, Fachbereich 08, Historisches Seminar, Goethe Universität Frankfurt am Main

Der vorliegende Sammelband basiert auf einer Tagung an der Universität Bern vom 14. bis zum 16. April 2016. Im opulent bebilderten Buch soll der in der englischsprachigen Forschung in den letzten Jahren entwickelte Ansatz der materiellen Kultur in Verbindung mit den derzeit intensiv diskutierten Feldern der Global- und Konsumgeschichte für die frühneuzeitliche Textilgeschichte im deutschsprachigen Raum – und leicht darüber hinaus – Anwendung finden. Das Desiderat ist in diesem Falle besonders frappierend, wie Kim Siebenhüner in der Einleitung aufzeigt. Die Herausgeber:innen wollen allerdings mehr als nur eine regionale Forschungslücke schliessen. Die Baumwollerzeugnisse werden metaphorisch als ein Faden dargestellt, der die mitteleuropäische Geschichte durchzog und mit den globalen Entwicklungen eng verknüpfte. Die thematische Bandbreite des Bandes reicht dabei von der Mikroperspektive der Erzeugung der Gewebe, der Frage nach Mustern und Farbgebung bis hin zur Vermarktung und globalen Handelskreisläufen. Geographisch deckt das Buch vor allem die Schweiz, etwas weniger das Alte Reich und seine Nachfolgestaaten sowie Dänemark ab.

Zwei Aufsätze, die eine generelle Übersicht bieten, wurden am Anfang nach der Einleitung und damit ausserhalb der Gliederung platziert. John Styles bietet eine gelungene Übersicht zur europäischen Textilgeschichte, die vor allem von Italien nach Frankreich und von schweren Produkten, die lange getragen wurden, zu leichten Stoffen, die einem Modezyklus unterlagen, weist. Eiluned Ewards beleuchtet die Technik des Baumwolldrucks in Indien über die letzten Jahrhunderte und die Resilienz sowie Adaptationsfähigkeit dieses Gewerbes bis in die Gegenwart.

Der erste Abschnitt «The Production of Textiles: Manufacturing and Colouring» beginnt mit einer intensiv aus dem Archivmaterial geschöpften Detailstudie zum Augsburger Baumwollgewerbe im späten 18. Jahrhundert. Karl Borromäus Murr und Michaela Breil können aus der Überlieferung der Augsburger Firma Schöppler & Hartmann viele Details der Erzeugung und des Vertriebs rekonstruieren und dabei nebenbei einen Kontrapunkt gegenüber einer immer noch häufig als Niedergangsgeschichte interpretierten wirtschaftlichen Entwicklung der Reichsstadt im späten 18. Jahrhundert setzen. Ernest Menolfi präsentiert die Textilgewerbe in der östlichen Eidgenossenschaft im späten 18. Jahrhundert. Dabei fokussiert er insbesondere auf Unternehmer sowie deren Geschäftsstrategien in Graubünden und der Bodenseeregion und stellt nicht nur einen Boom des Textilgewerbes, sondern auch den Übergang zur modernen Industrialisierung in dieser tendenziell wenig urbanisierten und doch gewerblich hoch entwickelten Region heraus. Kim Siebenhüner vollzieht in der Eidgenossenschaft die Erstellung der «Indiennes», kunstvoll bedruckter Baumwolltextilien, nach und insbesondere die hierfür notwendigen Färbetechniken im 18. Jahrhundert. Sie kann nicht nur einen Wissenstransfer zwischen Indien und der Schweiz in Form technischer Manuale nachweisen, sondern thematisiert auch die Probleme, die dies nach sich zog. Claudia Ravazzolo bietet einen Einblick in die komplexe Herstellung von Zitzen, ihren Ursprüngen in Indien und ihre Verwendung in Europa als Schürzen, was sie bis in Berner Privathaushalte nachverfolgen kann. Jutta Wimmler analysiert die Funktion des Königlichen Lagerhauses Preussens, das seit 1750 auch als Manufaktur zur Textilveredelung durch Färbung genutzt wurde, da deren Leitung mit den gefärbten Lieferungen aus den Niederlanden oder Hamburg unzufrieden war. Wimmler betont dabei, dass die Grundstoffe zur Färbung in der näheren Umgebung der Ostseehäfen, insbesondere Stettin, gekauft werden konnten, was auf eine verstärkte Einbettung Preussens in die globalen Handelskreisläufe hindeutet.

Der zweite Abschnitt «The Business of Textiles: Marketing and Product Innovation» beginnt mit einem Aufsatz von Barbara Karl zu Colchas, mit Seide verzierten Baumwolldecken aus Ostasien, und ihrer Vermarktung in Europa. Portugiesische Kaufleute brachten diese Produkte seit dem 16. Jahrhundert nach Europa, adaptierten ihre Muster und erzeugten somit Hybridprodukte, die auf dem europäischen Markt eine Käuferschaft fanden. Gabi Schopf zeigt, wie die Vermarktung von Textilprodukten um 1800 im Detail funktionierte und wie man auf die Wünsche der Kundschaft reagierte und dadurch Vertrauen erzeugte. Als Quelle nutzt sie die geschäftliche Korrespondenz zwischen Textilproduzenten und -verkäufern und bezieht die dabei angehängten Muster in die Analyse mit ein. Alexis Schwarzenbach kann zeigen, wie Seidenproduzenten aus Zürich ihre Waren zur Mitte des 19. Jahrhunderts nach New York verkauften. Die essentiellen Voraussetzungen hierfür waren ein leichter Zugriff auf Rohseide in Norditalien sowie ein «dense network of global Swiss», die als Korrespondenten jenseits des Ozeans die Nähe zum Absatzmarkt sicherstellten. Eric Häusler erörtert, inwieweit sich das heutige Konzept des modernen Marketings auf die Schweizer Stickereibranche des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert anwenden lässt. Durch die Aufzählung einer Reihe von Massnahmen, die mit diesem Konzept heutzutage erfasst werden, weist er in der Tendenz die Modernität damaliger Marketingtechniken nach.

Der dritte Abschnitt «The Consumption of Textiles: Clothes and Fabrics» wird von Vibe Maria Martens mit einem Aufsatz zur Geschichte des Baumwollimports aus Indien nach Dänemark vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert eingeleitet. Gestützt auf zahlreiche archivalische Quellen kann sie die Entwicklung detailliert nachzeichnen und dabei zahlreiche Interpretationen der Forschung bestätigen oder relativieren. Isa Fleischmann-Heck analysiert den «Duisburger Intelligenz-Zettel» während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Vermerke von Textilien, vor allem bei Diebstählen und Beschreibungen von gesuchten Kriminellen. Durch die Anreicherung dieser Schriftquelle mit musealen Textilobjekten der Region entsteht ein facettenreiches Bild des verbreiteten Besitzes vielfältiger und hochwertiger Textilien im Gebiet des Niederrheins. Aris Kafanto- gias betrachtet Verlassenschaftsinventare aus Wien um 1800 und kann mittels mehrerer recht interessanter Analyseverfahren ein differenziertes Bild des Modewandels nachzeichnen. John Jordan zeigt aus der eingehenden Analyse von Konkursakten, die in Bern für die Frühe Neuzeit in einer besonders hohen Zahl überliefert sind, dass manche Annahmen der Consumer Revolution wohl relativiert werden müssen. So kann er zum einen nachweisen, dass exotische Textilien aus Ostasien hauptsächlich dann weitere Käuferkreise fanden, wenn sie lokal veredelt wurden, zum anderen, dass Baumwolle in Bern im 18. Jahrhunderte nicht dominierte, sondern «just another fabric» war.

Der Band bündelt bedeutende Erkenntnisse und bringt die Forschung in vielerlei Hinsicht voran. Die Rahmenfragestellung nimmt Anregungen wichtiger Forschungstrends produktiv auf und die einzelnen Aufsätze werden dem eigenen Anspruch rundum gerecht. Die global vergleichende Textilgeschichte erfährt mit diesem Band bedeutende Impulse.

Zitierweise:
Ressel, Magnus: Rezension zu: Siebenhüner, Kim; Jordan, John; Schopf, Gabi f (Hg.): Cotton in Context. Manufacturing, Marketing, and Consuming Textiles in the German-speaking World (1500–1800), Köln 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 502-504. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

Editors Information
Author(s)
Contributor
First published at
Additional Informations
Type
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability